C9 Interview mit dem Agrarwissenschaftler Andreas Bürkert

Professor Dr. Andreas Bürkert ist Leiter des Fachgebiets Ökologischer Pflanzenbau und Agrarökosystemforschung in den Tropen und Subtropen an der Universität Kassel in Witzenhausen. Als Pflanzenernährer interessieren ihn besonders bodenfruchtbarkeitsbedingte Begrenzungen des Pflanzenwachstums unter schwierigen Umweltbedingungen. Im Augenblick leitet er ein großes Forschungsprojekt, in dem am Beispiel der indischen Stadt Bangalore die Wirkung der Ausdehnung von Metropolen auf das ländliche Umland untersucht wird. Außerdem interessiert er sich für die Auswirkungen des Klimawandels auf kleinbäuerliche Ressourcenverfügbarkeit und Migration, zum Beispiel in Westafrika.
Herr Bürkert, im Film 10 MILLIARDEN – WIE WERDEN WIR ALLE SATT? geht es mehrfach um die Frage, ob die ökologische Landwirtschaft in der Lage wäre, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren oder ob dazu nicht die höheren Erträge der konventionellen Landwirtschaft unverzichtbar sind. Kann man diese Frage überhaupt allgemeingültig beantworten?
Vieles hängt davon ab, wie sich die menschlichen Ernährungsgewohnheiten in Zukunft entwickeln. Ich gehe dabei von zwei Voraussetzungen aus. Erstens: Für die meisten Menschen sind Bequemlichkeit und Genuss entscheidungsbestimmender als Vernunft. Zweitens: Es gibt auf absehbare Zeit keinen Druck von außen, der groß genug wäre, um unsere Agrarwirtschaft grundsätzlich zu verändern. Damit ist gemeint, dass klimabedingte Umweltveränderungen weiterhin so schleichend voranschreiten, dass man sie als Einzelperson zwar beklagt, aber letztendlich doch als angeblich unvermeidbar hinnimmt. Wenn diese Voraussetzungen zutreffen – das heißt damit auch, dass der Fleischkonsum insbesondere in Asien weiter steigen wird – dann brauchen wir die konventionelle Erzeugung von preiswerten Energie- und Eiweißfuttermitteln. Das bekommt die ökologische Landwirtschaft mengenmäßig nicht hin, weil trotz aller Bemühungen um Ertragssteigerungen die Flächenproduktivität zu gering ist. Man müsste große Schutz- und Waldgebiete in Agrarland verwandeln und das wollen wir nicht. Ich bin mir also recht sicher, dass wir auch in Zukunft beide Agrarproduktionssysteme haben werden – Ökolandbau als vernunftgetriebene Vorreiter und konventionellen Landbau für eine preiswerte Versorgung unter Duldung bestimmter Umweltschäden.
Kann sich denn die konventionelle Landwirtschaft verändern?
Ja, durchaus. Wenn wir einmal kurz zurückblicken und vergleichen, welche Pestizide heute eingesetzt werden, dann sind die mit ganz wenigen Ausnahmen viel weniger human- und umwelttoxisch als diejenigen, die in den 1980er oder 90er Jahren eingesetzt wurden. Wir haben weltweit außer bei einigen Moskitobekämpfungsaktionen in Afrika fast kein DDT mehr im Einsatz, ein großer Teil der langlebigen Pestizide ist verschwunden. Das sind deutliche Fortschritte. Wir sind weit weg vom Ideal, aber wir haben uns bewegt.
Wenn über die Frage nach dem wachsenden Fleischkonsum diskutiert wird, spielen ja auch immer Alternativen eine Rolle: Proteine aus Insekten, Fleischersatzstoffe oder künstlich erzeugtes Fleisch aus dem Labor.
In Europa und Nordamerika gibt es da sicher in Teilen der Bevölkerung einen Bewusstseinswandel, im großen Fleischkonsumenten Indien sehe ich das bisher nur eingeschränkt, in China überhaupt nicht. Die Mittelschicht in diesen bevölkerungsreichen Ländern wächst rasant und die Menschen wollen Fleisch essen, keine Veggie- Burger. Meiner Meinung nach wird deshalb in den nächsten Jahren der Fleischkonsum weltweit weiter stark zunehmen.
Hat der Gegensatz zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft außerhalb von Europa eigentlich eine ähnliche Bedeutung wie bei uns?
Der Konflikt wird andernorts meist nicht so erbittert geführt – das starke emotionale (oft auch die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner abwertende) Engagement in der Diskussion ist vielleicht auch typisch deutsch. Schon in Südeuropa werden Systemdiskussionen oft deutlich entspannter ausgetragen. Und in Ländern des globalen Südens gibt es bei den Konsumenten meist keine Bereitschaft, zwischen dem einen und dem anderen so kategorisch zu unterscheiden, wie das bei uns der Fall ist. In den meisten Ländern existiert für ökologisch erzeugte und entsprechend zertifizierte landwirtschaftliche Produkte nur ein sehr begrenzter Heimmarkt – mit einigen Ausnahmen wie Nordamerika, Indien oder Costa Rica. Das heißt: Öko-Produkte gehen meist in die zahlungskräftigen Nordländer. Nebenbei gesagt: Durch die weiten Lieferwege und den damit verbundenen Energieverbrauch ist die ökologische Qualität von neuseeländischen Äpfeln oder ähnlichen Produkten durchaus zweifelhaft. Der tropische Obstsalat, der jeden Tag frisch mit dem Flugzeug aus Südafrika zu uns kommt, ist da sicher ein Extrembeispiel, aber derartiger ökologischer Unfug ist immer noch Wirklichkeit.
Landwirtschaftsbetriebe in Afrika und in Asien sind im Durchschnitt um ein Vielfaches kleiner als diejenigen in Europa und vor allem als diejenigen in den USA. Hier wird ja sicher auch ganz anders gearbeitet – hat das vielleicht auch Vorteile?
Das ist ein spannendes Thema, das mich auch gerade beschäftigt. Die Mechanisierung der Landwirtschaft hat in Europa dazu geführt, dass nur noch eine ganz verschwindend kleine Anzahl von Menschen in der Landwirtschaft tätig ist – bei uns in Deutschland inzwischen weniger als 0,5 Prozent der Bevölkerung. Und dann bürden wir diesen wenigen Landwirtinnen und Landwirten neben der Erzeugung von Nahrungsmitteln immer mehr Verantwortung für unsere Ökosysteme auf – man spricht auch von Ökosystemdienstleistungen. Das kommt meistens dann zur Sprache, wenn es um Subventionen geht, aber für die Landwirtinnen und Landwirte ist dies ein selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit. In ärmeren Ländern ist der Anteil an in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen noch viel höher. Hier fehlen oft alternative Arbeitsplätze im Industrie- und Dienstleistungssektor, um die Menschen zu beschäftigen, die aus der Landwirtschaft abwandern müssten, wenn man sie stärker mechanisieren würde.
Unsere Modelle sind also nicht unbedingt auf andere Weltregionen übertragbar?
Oftmals ist der landwirtschaftliche Transformationsprozess mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, findet aber dennoch statt. In China beispielsweise war der Verkauf von Land lange Zeit verboten. Aber das ändert sich derzeit, weil auch die Zentralregierung in Beijing weiß, dass viele aus der jungen Generation die elterlichen Betriebe aufgeben, wenn man ihnen nicht die Möglichkeit gibt, sich zu vergrößern oder unter Einsatz größerer Maschinen zu arbeiten. Wie die Landwirtschaft modernisiert, dabei die Umwelt geschont und gleichzeitig alle Verbraucherwünsche bestmöglich befriedigt werden können, ist gerade ein ganz großes Thema in China.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle von großen internationalen Konzernen, die Saatgut, Pflanzenschutzmittel und Düngemittel liefern und damit die Landwirt*innen in ein Abhängigkeitsverhältnis bringen?
Machtkonzentration ist immer ein Problem – erst recht, wenn es um ein grundlegendes Menschenrecht wie Ernährung geht. Ein politisch hochbrisantes Thema in diesem Zusammenhang ist ja das Pflanzenschutzmittel Glyphosat, das weltweit eingesetzt wird. Ich glaube, dass wir glücklicherweise zumindest in Europa darüber nicht mehr lange diskutieren werden. Es mag zwar noch einige Jahre dauern und leider werden bis dahin noch einige Menschen – direkt oder indirekt – an diesem Herbizid sterben, aber dann wird Glyphosat auch im konventionellen Anbau und im Privatbereich hoffentlich durch weniger problematische Herbizide ersetzt. Grundsätzlich sind große Lieferanten für Massenabnehmer wie etwa Aldi oder Lidl ein Garant für gleichbleibende Qualität. Das können Kleinbauernbetriebe, es sei denn sie sind wirklich gut genossenschaftlich organisiert, so nicht leisten. Ein Angebot von Billig-Nahrungsmitteln erfordert auch ganz große Vermarkter. Allerdings zeigt sich ja auch, dass es im Bereich der ökologischen Produkte mittlerweile große Produzenten und Händler gibt –Größe an sich ist also weder zwangsläufig gut noch schlecht.
Sie haben viele Jahre im Ausland gearbeitet, unter anderem in Westafrika, Myanmar, China und Afghanistan. Wie haben diese Erfahrungen Ihre Sicht auf unsere Lebensweise und unser Verhältnis zu Nahrungsmitteln beeinflusst?
Ich empfinde eine große Dankbarkeit für das, was wir täglich wie selbstverständlich um uns haben, und oft beschämt mich, wie wir damit umgehen. Ich glaube, dass wir noch eine weite Strecke gehen müssen, um Menschen in armen Ländern einigermaßen auf Augenhöhe begegnen zu können. Gerade Europäer haben gegenüber der Mehrheit der Menschen auf unserer Welt enorm große Privilegien. Wenn wir beispielweise aus der Türkei nach Griechenland übersetzen, dann fahren wir sozusagen immer erster Klasse und haben bestimmt eine Schwimmweste. Wir sollten versuchen, diejenigen, die dies nicht haben, viel deutlicher als Bruder oder Schwester willkommen zu heißen.
Aufgaben
1) Lies das Interview und markiere Stellen, die du nicht verstehst. Versuch, diese Punkte mit einem*einer Lernpartner*in zu klären.
2) Beantwortet gemeinsam folgende Fragen:
• Andreas Bürkert vermutet, dass die konventionelle Landwirtschaft trotz negativer Umweltfolgen weiter existieren wird. Welche Gründe führt er dafür an?
• Welche Rolle spielt die ökologische Landwirtschaft in ärmeren Ländern?
• Was versteht man unter Ökosystemdienstleistungen? Recherchiert dazu Beispiele im Internet.
• Warum ist es für die chinesische Regierung ein Risiko, wenn sich die Landwirtschaftsbetriebe vergrößern und mit mehr Maschinen arbeiten?
3) Der weltweite Fleischkonsum hat 2018 mit 335 Millionen Tonnen Schlachtgewicht einen Rekordwert erreicht. Die Erzeugung von Fleisch ist für etwa 15 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich und damit ein erheblicher Faktor beim Klimawandel. Auch wenn die asiatischen Länder stark aufholen, ist der Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch in Deutschland noch immer deutlich höher als in den meisten anderen Staaten. Diskutiert und begründet, welche der folgenden Maßnahmen ihr für politisch sinnvoll haltet:
• Den Fleischpreis durch Abgaben erhöhen und dies auch von anderen Regierungen fordern
• Die Menschen auffordern, weniger Fleisch zu essen
• Gar nichts tun und den Klimawandel an anderer Stelle bekämpfen
• Die Erzeugung von Alternativen fördern (Nahrungsmittel aus Insekten, vegetarische Wurst, Laborfleisch usw.)