10 Milliarden - Wie werden wir alle satt?

Deutschland 2015
Genre: Dokumentarfilm
Laufzeit: 107 Minuten
Regie: Valentin Thurn
Drehbuch: Sebastian Stobbe, Valentin Thurn
Produzent: Valentin Thurn
Musik: Joachim Dürbeck, René Dohmen
Schnitt: Henk Drees
FSK: ohne Altersbeschränkung
Altersempfehlung: ab 13 Jahren
Klassenstufe: ab 8. Klasse
Themen: Ernährung, Agrarwirtschaft, nachhaltige Landwirtschaft, Globalisierung, Biotechnologie, Gentechnik, Nachhaltigkeit, Verantwortung, Klimawandel
Unterrichtsfächer: Naturwissenschaften, Biologie, Erdkunde, Philosophie/Ethik, Gesellschaftslehre, Deutsch
Inhalt des Films
Knapp 10 Milliarden – so viele Menschen werden nach einer Projektion der UNO in der Mitte des 21. Jahrhunderts vermutlich auf der Erde leben1. Der Filmemacher Valentin Thurn hat diese abzusehende Entwicklung zum Anlass genommen sich zu fragen, wie eine so große Zahl von Menschen ernährt werden kann, zumal die Landwirtschaft schon jetzt das Trinkwasser belastet, zum Klimawandel beiträgt und Waldflächen zerstört. Um Antworten auf diese Frage zu bekommen, ist Thurn um die ganze Welt gereist, hat Akteur*innen aus Wissenschaft, Landwirtschaft und sozialen Bewegungen besucht und an ihren Wirkungsstätten beobachtet. Herausgekommen ist ein Film, der vielfältige Einblicke in Formen und Probleme der Nahrungsmittelproduktion liefert.
Thurn teilt seinen Film in verschiedene Themenbereiche auf, die er Schritt für Schritt abhandelt: Es geht um die Frage nach dem richtigen Saatgut, um die Nutzung von Düngemitteln, um Formen der Tierhaltung und neuere wissenschaftlich- technische Ansätze, Pflanzen und Fleisch in Fabriken zu produzieren. Und nicht zuletzt geht es um Gegensätze zwischen konzerngesteuerter Massenproduktion und einer kleinbäuerlichen Wirtschaftsweise, wie sie gerade in Afrika und Südostasien überwiegt. Am Ende des Films richtet Thurn seine Aufmerksamkeit auf Initiativen, die versuchen, in Europa wieder zu einer regionalen und umweltverträglichen Produktionsweise zurückzukehren.
Der Film erzählt in vielen kurzen Episoden, er springt von Schauplatz zu Schauplatz und die meisten Protagonist*innen kommen nur in jeweils einer Episode zu Wort. Trotzdem gelingt es Thurn, die einzelnen Handlungs- und Erzähl- Bausteine zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Das ist die große Leistung des Films: Er verdeutlicht auf eindrucksvolle und facettenreiche Weise die globalen Zusammenhänge in der Nahrungsmittelherstellung. Die konsequente Hinwendung zur Massentierhaltung und das Vorbild des westlichen Lebensstils mit einem hohen Fleischkonsum führen unweigerlich in eine globale Agrar- und Umweltkrise, denn die Flächen, die für die Futtermittelproduktion benötigt werden, gehen für die lokale Nahrungsmittelproduktion verloren.
Thurn zeigt differenziert und ohne Polemik, wie der weltweite Wunsch nach Fleisch traditionelle Wirtschaftsformen in Afrika verändert oder zerstört. Die Entwicklung von leistungsfähigem Saatgut wird beschrieben und in Indien den traditionellen Anbauweisen gegenübergestellt. Und ökologisch bewirtschaftete Höfe werden daraufhin befragt, wie effizient sie mit ihren Weideflächen umgehen. Thurn stellt eine Salatfabrik in Japan vor, blickt skeptisch auf genveränderte Lachse und sieht einem Wissenschaftler dabei zu, wie er sich einen synthetisch hergestellten Burger brät.
Die Aussicht, dass Fleischzellen in Zukunft auch in großen Bioreaktoren wachsen könnten, zeigt wohl am eindrücklichsten, wie sehr moderne Produktionsverfahren die zukünftige Ernährung von Menschen verändern könnten – wenn sie denn akzeptiert werden und sowohl wirtschaftlich wie auch ökologisch tragfähig sind. Vor allem in diesem Abschnitt führt der Film direkt in das Thema des Wissenschaftsjahres 2020 hinein: Die Bioökonomie will biologisches Wissen und neue technische Verfahren zusammenführen, um Nahrungsmittel ressourcenschonender produzieren zu können, als das derzeit passiert.
Im Fall des synthetisch hergestellten Hackfleischs könnte das gelingen, denn im Vergleich mit der Rinderhaltung würden der Wasserund Flächenverbrauch auf einen Bruchteil schrumpfen und die klimaschädliche Methanemission wegfallen.
Am Ende des Films werden Initiativen wie die solidarische Landwirtschaft oder die Transition Town-Initiative vorgestellt. Beide haben zum Ziel, die Nahrungsmittelproduktion wieder näher an die Konsumenten heranzuholen, etwa durch Gemeinschaftsgärten oder ein Teilhaber-Modell, bei dem mehrere Bürger*innen mit einem regionalen Landwirtschaftsbetrieb kooperieren.
Filmische Umsetzung
Ähnlich wie in TASTE THE WASTE, dem ersten Kinofilm von Valentin Thurn, bewegt sich auch 10 MILLIARDEN – WIE WERDEN WIR ALLE SATT? vorwiegend in einem erklärenden Modus. Thurn teilt am Anfang des Films mit, dass er sich auf eine Reise um die Welt begeben wolle, um die Leitfrage nach der zukünftigen Ernährung der Weltbevölkerung zu beantworten.
Interviews und Beobachtungen werden durch Voice-Over-Kommentare eingeordnet und verknüpft. Thurn hält sich auch mit seinen persönlichen Eindrücken nicht zurück, er formuliert dabei alltagsnah und verständlich, neigt aber nicht dazu, einzelne Akteur*innen oder Handlungsweisen zu verurteilen. Er stellt viele Fragen und lässt so den Zuschauer*innen die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden.
In mehreren Fällen stellt der Film gegensätzliche Konzepte nebeneinander, etwa eine nach deutschem Vorbild errichtete Geflügelschlachterei in Indien und die ökologische Tierhaltung in den Hermannsdorfer Landwerkstätten. Thurn äußert Sympathien für ökologisches Denken und kleinbäuerliche Betriebe, zugleich ist er aber mit Kritik an dem industriell arbeitenden Schlachtbetrieb vorsichtig. Stattdessen fragt er, welches Recht Europäer*innen haben, beispielsweise der Bevölkerung in Indien die Steigerung ihres Fleischkonsums vorzuwerfen – ist der Pro-Kopf-Verbrauch in Europa doch mehr als zehnmal so hoch wie in Indien.
Der Filmemacher nimmt sich trotz der zahlreichen Handlungsstationen immer wieder Zeit, um die Schauplätze und ihre Atmosphäre wirken zu lassen. Das ist im Fall der Saatgut-Bank sehr eindrucksvoll, im Fall der Geflügelschlachterei nur schwer zu ertragen. In einigen Fällen werden die Protagonist*innen augenzwinkernd inszeniert, wie etwa der Wissenschaftler Mark Post, der seinen selbst entwickelten Burger aus In-vitro-Fleisch brät und verspeist.
Thurn verbindet die Themenbausteine geschickt, verweigert aber einfache Antworten, womit er der komplexen Angelegenheit gerecht wird. Der Film macht aber erkennbar, dass er Sympathien für alternative Ansätze wie die solidarische Landwirtschaft oder die Projekte der Transition Town-Bewegung hegt.