Interview: Zukunftsprojekt Algen (ab Klasse 8)

Dr. Michael Lakatos

ist Ökologe und forscht an der Hochschule Kaisers­lautern. Unter anderem leitet er ein Projekt zur Entwicklung neuer Photobioreaktoren, in denen Algen eingesetzt werden. Dies ist ein Beispiel für bioökonomische Forschung: aus biologischen Quellen sollen durch moderne Verfahren hoch­wertige Produkte erzeugt werden, nachhaltig und klimaschonend.

Herr Lakatos, Sie sind Algenforscher. Auch im Film 2040 – WIR RETTEN DIE WELT! wird ein Projekt vorge­stellt, bei dem Algen eine Rolle spielen. Können Sie das einordnen?

Grundsätzlich muss man zwischen Makro- und Mikroalgen unterscheiden: Makroalgen können sehr groß werden und zu regelrechten Unterwasserwäl­dern heranwachsen. Auch das, was man als Seetang bezeichnet, sind wissenschaftliche gesehen Makro­algen. Diese Algen gehören in einigen Ländern zur traditionellen Ernährung. Denken Sie nur an Japan und das Sushi. Dafür werden Nori verwendet, das sind meist Rotalgen, die in Aquakulturen gezüchtet werden. Das hat eine lange Tradition.

CO2, das ja die Hauptrolle beim Klimawandel spielt, gelangt auch ins Meer und richtet dort Schäden an, vor allem durch Versauerung. Können Algenkulturen einen Beitrag zur Reduktion von CO2 leisten?

Algen binden in der Tat einen Teil des CO2, vor allem die so genannten Kelpwälder spielen da eine wich­tige Rolle. Aber um die Millionen Tonnen an CO2, die über die Luft in die Meere und Ozeane gelangen, in nennenswerter Weise zu reduzieren, bräuchte es schon Algenfelder von riesigen Ausmaßen. Zudem haben wir an vielen Stellen das Problem, dass die natürli­chen Tangwälder wegen zunehmender Meeresver­schmutzung zurückgehen. Ich denke, das Kultivieren von Großalgen ist ein guter Ansatz, kann aber nur ein kleiner Beitrag zur Lösung des Gesamtproblems sein.

Sie selbst arbeiten ja in Kaiserslautern, da gibt es bekanntlich kein Meer. Aber trotzdem beschäf­tigen Sie sich mit Algen …

Sogar sehr intensiv! Wir setzen Mikroalgen ein, die nur unter dem Mikroskop sichtbar sind. Solche Algen werden seit etwa 50 Jahren genutzt, um bestimmte Produkte zu erzeugen, zum Beispiel Carotinoide, die man als Zusatz­stoffe aus Joghurt oder Butter kennt, aber auch in der Kosmetik eine wichtige Rolle spielen.

Und auch als Farbstoffe?

Ja, da ist im Augenblick die Bakteriengattung Spirulina sehr interessant. Sie gehört zu den Cyanobakterien und produziert einen blauen Farbstoff, der inzwischen auch für Lebensmittel zugelassen ist. Die Hersteller von Fruchtgummis und anderen Süßigkeiten sind daran sehr inter­essiert, da seit 2007 in einer Studie die Vermu­tung geäußert wurde, dass künstliche Farb­stoffe bei Kindern gesundheitsschädlich seien und ADHS fördern könnten. Deshalb stellen die Lebensmittelproduzenten das jetzt mehr und mehr um. Das kann man auch nachprüfen: Auf Packungen, die blaue Fruchtgummis enthalten, müsste dann Spirulina-Extrakt als Zutat genannt werden – dann weiß man, dass diese Farbe aus Algen gewonnen wurde.

Das ist ein schönes Beispiel, aber es gibt ja auch noch viel größere Visionen: Dass Algen auf Dächern und an Fassaden eingesetzt werden, um die Energieversorgung zu regeln und am besten auch noch die Hausbewohner*innen zu ernähren – sind das Spinnereien oder ernst zu nehmende Ideen?

Das ist schon wesentlich mehr als eine Spin­nerei! Bei der Forschung an Bioreaktoren, die an Hausfassaden hängen, stehen wir noch ganz am Anfang, aber Deutschland hat hier durchaus eine Vorreiterrolle. Grundsätzlich geht es ja darum, dass die Weltbevölkerung wächst und vor allem wachsen die Städte: Von den zehn Milliarden Menschen, die es im Jahr 2050 vermutlich geben wird, werden zwischen sechs und sieben Milli­arden in Städten leben. Die müssen versorgt werden – ein echtes Problem!

Die größten ungenutzten Flächen in Städten sind die Fassaden. Seit etwa 10 Jahren denkt man deshalb ernsthaft darüber nach, ob man an diese Flächen Photobioreaktoren anbringen könnte. Die Algen entnehmen CO2 aus der Luft und produzieren im Gegenzug Sauerstoff und wich­tige Grundstoffe für die Ernährung. Die bishe­rigen Systeme verbrauchen allerdings zu viel Energie und zu viel Wasser – das ist einfach noch nicht wirtschaftlich.

Und bei den Systemen, an denen Sie forschen, ist das anders?

Bisher wurde mit aquatischen Algen gearbeitet, also Algen, die in einer Nährlösung schwimmen. Diese Algen haben verschiedene Nachteile: Sie sind temperaturempfindlich und die Flüssigkeit muss immer umgerührt werden. Für die Ernte ist dann ein kompliziertes Verfahren notwendig, um die Algen vom Wasser zu trennen. Wir verwenden deshalb terrestrische Mikroalgen, also solche, die in der freien Natur auf Böden wachsen oder auch auf Bäumen. Viele davon kommen bei uns vor, andere finden sich in Wüsten. Diese Algen setzen wir in Glasröhren und lassen sie wachsen. Sie brauchen nur Licht und müssen hin und wieder mit Nebel besprüht werden. Sie sind nicht hitze­empfindlich und einfach zu ernten: Man lässt sie einfach eintrocknen.

Und dann kann ich sie an einen Fruchtgummihersteller verkaufen oder gleich in mein Algenmüsli kippen?

Ja, da gibt es viele Möglichkeiten: Direkt als Lebensmittel nutzen ist natürlich der einfachste Weg. Algen gelten ja inzwischen als Super Food und werden auch traditionell in manchen Ländern als Delikatesse geschätzt. Sie produ­zieren lebenswichtige Eiweiße, Vitamine und

Saccharide, also Zucker. Unter bestimmten Bedingungen entstehen auch Lipide (Fette), die sich zur Herstellung von Treibstoffen eignen. Allerdings halte ich diese Verwendung für wenig sinnvoll. Das wird sich wirtschaftlich nicht lohnen. Ich bin eher der Meinung, dass Photobioreaktoren in Zukunft bei der Lebens­mittelversorgung in Städten eine Rolle spielen werden.

Sie haben also bei Ihren Forschungsprojekten schon im Blick, ob sich damit irgendwann einmal Geld verdienen lässt?

Wir betreiben angewandte Forschung, die im Gegensatz zur Grundlagenforschung darauf abzielt, ganz konkrete Nutzungsmög­lichkeiten auszuloten. Das ist grundsätzlich auch nichts Neues. Was relativ neu ist, das ist der Ansatz, verschiedene Zwecke effektiv und ressourcenschonend miteinander zu verknüpfen: Algen sind ein sehr hochwertiger Lieferant von Grundstoffen, sie nutzen Sonnen­licht und damit eine regenerative Energie­quelle. Und schließlich ist ihre Klimabilanz sehr positiv: Sie verbrauchen CO2 und stellen Sauer­stoff her, den wir ja alle zum Atmen brauchen. Das ist übrigens auch ein Grund, warum wir uns so sehr für die Hausfassaden interessieren: In Häusern entsteht CO2 durch die Atemluft, es entstehen Abwässer, im Winter werden Häuser beheizt, so dass es möglich sein könnte, mit Hilfe von Abwärme das ganze Jahr über Algen zu produzieren. Solche Synergien werden im Augenblick sehr gesucht, weil wir in Zeiten von Klimawandel und Ressourcenknappheit darauf angewiesen sind, in allem, was wir tun, effizi­enter zu werden.

Schematische Darstellung eines „Erntezyklus“ im Photobioreaktor und verschiedene Verwertungsmöglichkeiten

Welche Algen gibt es?

Sieht so die Stadt der Zukunft aus?

Aufgaben

1) Überlegt gemeinsam im Klassenplenum, wann und wo euch schon einmal Algen oder

Produkte aus Algen begegnet sind.

2) Lies nun in Einzelarbeit das Interview mit Michael Lakatos. Markiere Textstellen, die du nicht verstehst. Versuche, offene Fragen mit einem*einer Lernpartner*in zu klären. Beantwortet dann gemeinsam folgende Fragen auf einem Notizzettel:

• Wozu können Algenkulturen im Meer dienen?

• Was unterscheidet die Arbeit von Michael Lakatos von den im Film gezeigten Aquakulturen?

• Lakatos vergleicht die Nutzung aquatischer (im Wasser schwimmender) und terrestrischer Algen. Welche sind seiner Meinung nach besser geeignet und warum?

• Wie lassen sich die Algen aus dem Bioreaktor nutzen? Erklärt mit Hilfe des Schaubilds verschiedene Möglichkeiten. Welche Nutzung hält Michael Lakatos für weniger sinnvoll?

• Michael Lakatos erläutert am Ende des Interviews seinen Forschungsansatz. Inwiefern spielen der Klimawandel und die Knappheit an Rohstoffen dabei eine Rolle?

3) Seht die Illustration einer zukünftigen Stadtlandschaft an. Wie wirkt diese Stadt auf euch?

Was ist anders als an einer Stadt, wie ihr sie kennt?

4) Recherchiert im Internet ein Rezept, in dem Algen eine Rolle spielen (und das ihr gerne

mal ausprobieren würdet).

Stellt es euren Mitschüler*innen vor. Wenn ihr die Möglichkeit habt: Probiert mehrere Rezepte aus und baut im Klassenraum oder beim Schulfest ein Algen-Büfett auf.